NUMMER 11

     

HINAUFSTEIGEN UND GESUND WERDEN

Sonia Sbolzani

 

 

Von "Bergtherapie" war zum ersten Mal in einem journalistischen Artikel anlässlich einer Tagung zum Thema "Berge und Solidarität" im September 1999 in Pinzolo (TN) die Rede (siehe "Famiglia Cristiana", Nr. 44/'99). Erfunden hat diese Disziplin der Psychologe und Bergsteiger Giulio Scoppola von der Asl RmE, der örtlichen Gesundheitsbehörde Rom E, der in Zusammenarbeit mit einigen Kollegen folgende Definition ausgearbeitet hat: "Ein neuartiger methodologischer Ansatz im therapeutisch-rehabilitierenden und/oder erzieherisch-sozialen Bereich zur Sekundärprävention sowie zur der Heilung und Rehabilitation von Personen mit unterschiedlichen Problemen, Pathologien oder Behinderungen; er ist vorgesehen, um im Rahmen von Gruppentherapien im kulturellen, natürlichen und künstlichen Umfeld der Berge angewandt zu werden".
Mit anderen Worten: die Berge werden als hier nicht nur als wirksames Heilmittel für Atem-, Herz- und Stoffwechselkrankheiten betrachtet, sondern auch für Personen, die an Ängsten und Depressionen, Psychosen, Autismus, Schizophrenie oder anderen Persönlichkeitsstörungen leiden. Die Patienten werden Gruppen zugeordnet, in welchen die Erfahrungen in großer Höhe verarbeitet werden, wo sie sich mit der Bewegung in der Vertikale auseinandersetzen müssen (Wanderungen, Ski, Klettertouren etc.), mit der Anstrengung, der Orientierung, mit den von der Natur bestimmten Rhythmen und Grenzen, mit den Wetterbedingungen, mit dem Hinarbeiten auf ein zu erreichendes Ziel, mit der Verantwortung für die eigene Sicherheit und die anderer und mit der systematischen Verarbeitung neuer Erkenntnisse; das alles im Kontakt mit einem Umfeld, das ihnen völlig unbekannt ist und, was noch wichtiger ist, das außerhalb des psychiatrischen Kontextes liegt. Auf diese Weise ihrer eigenen Würde im Verhältnis zu anderen Menschen bewusst geworden, werden die Patienten angeregt, die Welt und sich selbst, in Körper und Seele, zu entdecken, lernen, "berührt" durch die Schönheit der Berglandschaft, das eigene menschliche Dasein wieder in den Griff zu bekommen und ihre Lebensqualität deutlich zu verbessern.
Allerdings muss hier betont werden, dass die Bergtherapie eventuelle medizinische oder erzieherisch-soziale Maßnahmen nicht ersetzen kann, sondern vielmehr als Ergänzung gedacht ist.
Die Initiativen für Bergtherapie werden im Rahmen der staatlichen Gesundheitsversorgung oder in geprüften Sozial- und Gesundheitszentren – in enger Zusammenarbeit mit dem Club Alpino Italiano (CAI) – umgesetzt und erhalten, was Information und Werbung angeht, Unterstützung durch eine eigens gegründete Gesellschaft (Associazione Montagnaterapia Italiana) sowie durch die Internetseite www.montagnaterapia.it und das Projekt Sopraimille (www.sopraimille.it), das der Psychiater Sandro Carpineta vom Zentrum für geistige Gesundheit in Arco (TN) leitet. Zu den Zielsetzungen zählen unter anderem der Ausbau eines extensiven Netzes von Arbeitsgruppen, die im ganzen Land aktiv sind, und die funktionale Erweiterung einer landesweiten Koordinationsstelle zu einem geeigneten Ort des Austauschs unterschiedlicher Erfahrungen.
Außerdem wünschen wir uns, dass die Anerkennung des wirklich erheblichen Einflusses der Berge weitere heilsame Wirkungen für alle Menschen mit sich bringt, angefangen bei dem Bewusstsein, dass dort oben alle Unterschiede aufgehoben werden, dass man eine gemeinsame Erfahrung teilt und sich gegenseitig unterstützt, neues Selbstvertrauen erwirbt, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und in die anderen. Der Aufstieg erhält hier mehr denn je eine symbolische Bedeutung.

 
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