NUMMER 11

     

DIE ALPENKONVENTION UND DIE MAKROREGION
„ALPINE SPACE“ DER EU

Überlegungen zur Frage der Alpenabgrenzung in Hinblick auf die Erarbeitung einer „Alpenstrategie“

Werner Bätzing

 

 

 

Die derzeitige Krise der Alpenkonvention (AK) lässt Überlegungen aufkommen, das Instrument der AK einschlafen zu lassen und stattdessen alles auf die Erarbeitung einer "Alpenstrategie" im Rahmen der EU-Makroregion "Alpine Space" zu setzen. Dies hätte jedoch für die Alpen sehr weit reichende Konsequenzen:
Während die AK die Alpen in etwa so abgrenzt, wie es dem normalen Menschenverstand entspricht (190.000 km², 14 Millionen Einwohner), werden die Alpen bei der EU als "Alpine Space" sehr weit abgegrenzt und umfassen ein Gebiet von 450.000 km² mit 70 Millionen Einwohnern. Dies bedeutet, dass die außeralpinen Metropolen in der Nähe des Alpenrandes – Wien, München, Zürich, Mailand usw. – den eigentlichen Alpenraum bei Bevölkerung, Arbeitsplätzen und Wählerstimmen sehr deutlich dominieren und bestimmen.
Dies spricht allerdings nicht gegen das Konzept der EU-Makroregionen: Dieses wurde von der EU seit den 1980er Jahren entwickelt ("Europa 2000" von 1991 und "Europa 2000+" von 1995), um einerseits Regionen zu definieren, deren Probleme nur grenzüberschreitend zu lösen sind, und die andererseits dazu dienen sollen, die regionalen Potenziale grenzüberschreitend aufzuwerten. In den frühen Dokumenten wurden als exemplarische Makroregionen oft die Alpen (nach Abgrenzung AK), der Nordsee- oder der Ostseeraum genannt. Diese Entwicklung mündete im Jahr 1999 in die Verabschiedung des "Europäischen Raumentwicklungskonzepts EUREK", allerdings brach die konkrete Diskussion über die Makroregionen in der EU mit Ausnahme des Ostseeraumes dann abrupt ab. Mit dem Lissabon-Vertrag vom 1.12.2009 wird der "territoriale Zusammenhalt" in der EU erstmals normativ als EU-Ziel fixiert ("Territoriale Agenda"), und dies wertet die Makroregionen nochmals auf, jedoch bleibt es sehr unklar, wie dies konkret umgesetzt werden solle.
In der aktuellen, stark durch neoliberale Gedanken geprägten Situation besteht die Tendenz, die EU-Makroregionen als Einzugsbereich mehrerer europäischer Metropolen zu verstehen (großstädtische Kernräume plus "ihre" Peripherien), also als eine Art internationaler Metropolregionen. Diese Interpretation widerspricht jedoch klar der ursprünglichen Absicht der EU: Die Gliederung Europas in Makroregionen soll Räume mit gleichen Problemen und Potenzialen zusammenfassen, und dies können sowohl Metropolregionen wie Nicht-Metropolregionen sein, wie der Entwurf von "Europa 2000+" verdeutlicht. Die Alpen zeigen diesen Unterschied besonders exemplarisch: Als Raum mit gemeinsamen, spezifischen Problemen und Potenzialen können nur die Alpen im Sinne der AK angesprochen werden und nicht der große "Alpine Space", der Räume mit völlig anderen Situationen den Alpen hinzufügt.
Da die Erarbeitung von Strategien für Makroregionen, die die EU derzeit vorantreibt, sehr sinnvoll ist, um diese aufzuwerten und nachhaltig zu entwickeln, wäre es nötig, dass die EU den "Alpine Space" räumlich auf den Geltungsbereich der AK reduziert. Die Arbeit an einer "Alpenstrategie" steht vor genau den gleichen Herausforderungen wie die AK und könnte daher von ihren Vorarbeiten stark profitieren – zum Vorteil der Alpen und der EU-Makroregionen.
Die politische Erklärung zur Erarbeitung einer "Alpenstrategie" (12.03.2010 in Mittenwald) fordert, den Verflechtungen zwischen dem Kerngebiet der Alpen und den außeralpinen Metropolen einen besonderen Stellenwert einzuräumen. Dies ist richtig und notwendig, spricht aber nicht gegen die Abgrenzung der Alpen nach AK, sondern gerade dafür: Nur wenn die Alpen im Sinne der AK einheitlich auftreten, können sie mit den außeralpinen Metropolen (deren Metropolregionen ja in die Alpen hineinragen) gleichberechtigt über Fragen der Raumentwicklung und der Ausgestaltung der Verflechtungen diskutieren; wären die Alpen als "Alpine Space" dagegen weit abgegrenzt, ständen den großstädtischen Metropolen nur kleine und schwache Alpengemeinden und Alpenkreise als Partner gegenüber.
Die AK darf sich nicht als politische "Insel" verstehen, deren Geltungsbereich am Alpenrand abrupt endet, sondern sie muss auch die Verflechtungen mit außeralpinen Räumen thematisieren (hierfür fehlen jedoch noch die dafür notwendigen AK-Protokolle). Damit diese Diskussion jedoch auf eine gleichberechtigte Weise gestaltet werden kann, müssen die politisch zersplitterten Alpen als ein Gebiet mit gleichen Problemen/Potenzialen auftreten und dürfen nicht mit ganz andersartigen Räumen zusammen gefasst werden, von deren demographischer, ökonomischer und politischer Stärke sie erdrückt würden.

 
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